Du rissest mich von der Verzweiflung los,
Die mir die Sinne schon zerstoren wollte.
Die mir die Sinne schon zerstoren wollte.
Goethe - Faust- Der Tragödie erster Teil
WAGNER:
Allein die Welt! des Menschen Herz und Geist!
Mocht jeglicher doch was davon erkennen.
FAUST:
Ja, was man so erkennen heisst!
Wer darf das Kind beim Namen nennen?
Die wenigen, die was davon erkannt,
Die toricht g'nug ihr volles Herz nicht wahrten,
Dem Pobel ihr Gefuhl, ihr Schauen offenbarten,
Hat man von je gekreuzigt und verbrannt.
Ich bitt Euch, Freund, es ist tief in der Nacht,
Wir mussen's diesmal unterbrechen.
WAGNER:
Ich hatte gern nur immer fortgewacht,
Um so gelehrt mit Euch mich zu besprechen.
Doch morgen, als am ersten Ostertage,
Erlaubt mir ein' und andre Frage.
Mit Eifer hab' ich mich der Studien beflissen;
Zwar weiss ich viel, doch mocht' ich alles wissen.
(Ab. )
FAUST (allein):
Wie nur dem Kopf nicht alle Hoffnung schwindet,
Der immerfort an schalem Zeuge klebt,
Mit gier'ger Hand nach Schatzen grabt,
Und froh ist, wenn er Regenwurmer findet!
Darf eine solche Menschenstimme hier,
Wo Geisterfulle mich umgab, ertonen?
Doch ach! fur diesmal dank ich dir,
Dem armlichsten von allen Erdensohnen.
Du rissest mich von der Verzweiflung los,
Die mir die Sinne schon zerstoren wollte.
Ach! die Erscheinung war so riesengross,
Dass ich mich recht als Zwerg empfinden sollte.
Ich, Ebenbild der Gottheit, das sich schon
Ganz nah gedunkt dem Spiegel ew'ger Wahrheit,
Sein selbst genoss in Himmelsglanz und Klarheit,
Und abgestreift den Erdensohn;
Ich, mehr als Cherub, dessen freie Kraft
Schon durch die Adern der Natur zu fliessen
Und, schaffend, Gotterleben zu geniessen
Sich ahnungsvoll vermass, wie muss ich's bussen!
Ein Donnerwort hat mich hinweggerafft.
Nicht darf ich dir zu gleichen mich vermessen;
Hab ich die Kraft dich anzuziehn besessen,
So hatt ich dich zu halten keine Kraft.
In jenem sel'gen Augenblicke
Ich fuhlte mich so klein, so gross;
Du stiessest grausam mich zurucke,
Ins ungewisse Menschenlos.
Wer lehret mich? was soll ich meiden?
Soll ich gehorchen jenem Drang?
Ach! unsre Taten selbst, so gut als unsre Leiden,
Sie hemmen unsres Lebens Gang.
Dem Herrlichsten, was auch der Geist empfangen,
Drangt immer fremd und fremder Stoff sich an;
Wenn wir zum Guten dieser Welt gelangen,
Dann heisst das Bessre Trug und Wahn.
Die uns das Leben gaben, herrliche Gefuhle
Erstarren in dem irdischen Gewuhle.
Wenn Phantasie sich sonst mit kuhnem Flug
Und hoffnungsvoll zum Ewigen erweitert,
So ist ein kleiner Raum ihr nun genug,
Wenn Gluck auf Gluck im Zeitenstrudel scheitert.
Die Sorge nistet gleich im tiefen Herzen,
Dort wirket sie geheime Schmerzen,
Unruhig wiegt sie sich und storet Lust und Ruh;
Sie deckt sich stets mit neuen Masken zu,
Sie mag als Haus und Hof, als Weib und Kind erscheinen,
Als Feuer, Wasser, Dolch und Gift;
Du bebst vor allem, was nicht trifft,
Und was du nie verlierst, das musst du stets beweinen.