Was ist das fur ein
Marterort?
Goethe - Faust- Der Tragödie erster Teil
Mochte selbst solch einen Herren kennen,
Wurd ihn Herrn Mikrokosmus nennen.
FAUST:
Was bin ich denn, wenn es nicht moglich ist,
Der Menschheit Krone zu erringen,
Nach der sich alle Sinne dringen?
MEPHISTOPHELES:
Du bist am Ende- was du bist.
Setz dir Perucken auf von Millionen Locken,
Setz deinen Fuss auf ellenhohe Socken,
Du bleibst doch immer, was du bist.
FAUST:
Ich fuhl's, vergebens hab ich alle Schatze
Des Menschengeists auf mich herbeigerafft,
Und wenn ich mich am Ende niedersetze,
Quillt innerlich doch keine neue Kraft;
Ich bin nicht um ein Haar breit hoher,
Bin dem Unendlichen nicht naher.
MEPHISTOPHELES:
Mein guter Herr, Ihr seht die Sachen,
Wie man die Sachen eben sieht;
Wir mussen das gescheiter machen,
Eh uns des Lebens Freude flieht.
Was Henker! freilich Hand und Fusse
Und Kopf und Hintern, die sind dein;
Doch alles, was ich frisch geniesse,
Ist das drum weniger mein?
Wenn ich sechs Hengste zahlen kann,
Sind ihre Krafte nicht die meine?
Ich renne zu und bin ein rechter Mann,
Als hatt ich vierundzwanzig Beine.
Drum frisch! Lass alles Sinnen sein,
Und grad mit in die Welt hinein!
Ich sag es dir: ein Kerl, der spekuliert,
Ist wie ein Tier, auf durrer Heide
Von einem bosen Geist im Kreis herum gefuhrt,
Und rings umher liegt schone grune Weide.
FAUST:
Wie fangen wir das an?
MEPHISTOPHELES:
Wir gehen eben fort.
Was ist das fur ein Marterort?
Was heisst das fur ein Leben fuhren,
Sich und die Jungens ennuyieren?
Lass du das dem Herrn Nachbar Wanst!
Was willst du dich das Stroh zu dreschen plagen?
Das Beste, was du wissen kannst,
Darfst du den Buben doch nicht sagen.
Gleich hor ich einen auf dem Gange!
FAUST:
Mir ist's nicht moglich, ihn zu sehn.
MEPHISTOPHELES:
Der arme Knabe wartet lange,
Der darf nicht ungetrostet gehn.
Komm, gib mir deinen Rock und Mutze;
Die Maske muss mir kostlich stehn. (Er kleidet sich um. )
Nun uberlass es meinem Witze!
Ich brauche nur ein Viertelstundchen Zeit;
Indessen mache dich zur schonen Fahrt bereit!
(Faust ab. )
MEPHISTOPHELES (in Fausts langem Kleide):
Verachte nur Vernunft und Wissenschaft,
Des Menschen allerhochste Kraft,
Lass nur in Blend- und Zauberwerken
Dich von dem Lugengeist bestarken,
So hab ich dich schon unbedingt-
Ihm hat das Schicksal einen Geist gegeben,
Der ungebandigt immer vorwarts dringt,
Und dessen ubereiltes Streben
Der Erde Freuden uberspringt.
Den schlepp ich durch das wilde Leben,
Durch flache Unbedeutenheit,
Er soll mir zappeln, starren, kleben,
Und seiner Unersattlichkeit
Soll Speis und Trank vor gier'gen Lippen schweben;
Er wird Erquickung sich umsonst erflehn,
Und hatt er sich auch nicht dem Teufel ubergeben,
Er musste doch zugrunde gehn!
(Ein SCHULER tritt auf.