Sei Er kein
schellenlauter
Tor!
Goethe - Faust- Der Tragödie erster Teil
(Wagner im Schlafrock und der Nachtmutze, eine Lampe in der Hand.
Faust wendet sich unwillig. )
WAGNER:
Verzeiht! ich hor euch deklamieren;
Ihr last gewiss ein griechisch Trauerspiel?
In dieser Kunst mocht ich was profitieren,
Denn heutzutage wirkt das viel.
Ich hab es ofters ruhmen horen,
Ein Komodiant konnt einen Pfarrer lehren.
FAUST:
Ja, wenn der Pfarrer ein Komodiant ist;
Wie das denn wohl zuzeiten kommen mag.
WAGNER:
Ach! wenn man so in sein Museum gebannt ist,
Und sieht die Welt kaum einen Feiertag,
Kaum durch ein Fernglas, nur von weitem,
Wie soll man sie durch Uberredung leiten?
FAUST:
Wenn ihr's nicht fuhlt, ihr werdet's nicht erjagen,
Wenn es nicht aus der Seele dringt
Und mit urkraftigem Behagen
Die Herzen aller Horer zwingt.
Sitzt ihr nur immer! leimt zusammen,
Braut ein Ragout von andrer Schmaus
Und blast die kummerlichen Flammen
Aus eurem Aschenhaufchen 'raus!
Bewundrung von Kindern und Affen,
Wenn euch darnach der Gaumen steht-
Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaffen,
Wenn es euch nicht von Herzen geht.
WAGNER:
Allein der Vortrag macht des Redners Gluck;
Ich fuhl es wohl, noch bin ich weit zuruck.
FAUST:
Such Er den redlichen Gewinn!
Sei Er kein schellenlauter Tor!
Es tragt Verstand und rechter Sinn
Mit wenig Kunst sich selber vor!
Und wenn's euch Ernst ist, was zu sagen,
Ist's notig, Worten nachzujagen?
Ja, eure Reden, die so blinkend sind,
In denen ihr der Menschheit Schnitzel krauselt,
Sind unerquicklich wie der Nebelwind,
Der herbstlich durch die durren Blatter sauselt!
WAGNER:
Ach Gott! die Kunst ist lang;
Und kurz ist unser Leben.
Mir wird, bei meinem kritischen Bestreben,
Doch oft um Kopf und Busen bang.
Wie schwer sind nicht die Mittel zu erwerben,
Durch die man zu den Quellen steigt!
Und eh man nur den halben Weg erreicht,
Muss wohl ein armer Teufel sterben.
FAUST:
Das Pergament, ist das der heil'ge Bronnen,
Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt?
Erquickung hast du nicht gewonnen,
Wenn sie dir nicht aus eigner Seele quillt.
WAGNER:
Verzeiht! es ist ein gross Ergetzen,
Sich in den Geist der Zeiten zu versetzen;
Zu schauen, wie vor uns ein weiser Mann gedacht,
Und wie wir's dann zuletzt so herrlich weit gebracht.
FAUST:
O ja, bis an die Sterne weit!
Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit
Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln.
Was ihr den Geist der Zeiten heisst,
Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
In dem die Zeiten sich bespiegeln.